Es ist in gewisser Art und Weise eine bizarre Ironie, dass Poker mit all der Historie so stark auf die Moral der Spieler angewiesen ist.
Poker kann nur existieren, solange Menschen an den Tischen sitzen. Deshalb ist es von essenzieller Wichtigkeit, dass die Pokercommunity alles daransetzt, um Betrüger dem Spiel fernzuhalten, Skandale zu entlarven und den Ruf des Spiels zu wahren. Es ist ein kollektiver Versuch, die Langlebigkeit des Pokerspiels zu unterstützen, indem man sicherstellt, dass sich die Leute sicher genug fühlen, um an den Tischen Platz zu nehmen.
Das System hat sich über die Jahrzehnte bewährt. Wo sonst findet man dieses Vertrauen, dass Spieler, ohne groß nachzudenken, anderen Spielern Geld leihen oder ihre Chips am Tisch lassen, während sie auf Toilette gehen.
Nirgendwo, richtig?
Das Spiel ist jedoch nicht immer so, wie es scheint. Als Betrüger gebrandmarkt zu werden, kann den eigenen Ruf zerstören und dafür sorgen, dass man nicht mehr an die Tische zurückkehrt.
Trotzdem sind einige Spieler bereit, dieses Risiko einzugehen.
Es ist oft schwierig, jemandem einen Betrug nachzuweisen, wenn er nicht gerade ein Geständnis ablegt, was die Sache noch schlimmer macht.
Poker ist sehr subjektiv. Es ist also ziemlich einfach, einen Weg zu finden, selbst die fragwürdigsten Spielzüge zu rechtfertigen.
Letzten Monat haben wir über die jüngsten Betrugsvorwürfe gegen Robbi Lew gesprochen. Den Artikel dazu finden Sie hier.
Dieses Mal befassen wir uns mit anderen Skandalen, die die Pokerwelt in den letzten Jahren erschüttert haben:
#1 Postlegate
Vor ein paar Jahren wurde der Cash-Game-Livestream des Stone Live Casinos Zeuge der Geburt eines waschechten Pokergottes. Die Kommentatoren staunten und der Chat explodierte, als sie beobachteten, wie sich ein Mann namens Mike Postle von einem überschaubaren Reg zu einem Pokergiganten entwickelte – und das Ganze über Nacht!
Postle hat über ein Jahr lang einen Tisch nach dem anderen leer gefegt und dabei eine der verrücktesten Gewinnserien hingelegt, die man je in einem Livestream gesehen hat. Er gewann Hunderttausende von Dollar mit Einsätzen von nur $1/$3.
Aus strategischer Sicht wurde einem relativ schnell klar, dass die Preflop-Handauswahl von Postle weit entfernt von optimal war. Aber er spielte nach dem Flop so perfekt, dass dies nicht wirklich ins Gewicht zu fallen schien. Postles Bluff-, Sizing- und Fold-Entscheidungen waren genial.
Er gewann riesige Pots, indem er die unorthodoxesten Plays genau zum richtigen Zeitpunkt machte.
Irgendetwas passte nicht zusammen, aber das schien niemanden zu interessieren. Postle war ein Pokergott.
Zumindest war das bis Mitte 2019 der Fall, als eine der Kommentatorinnen des Streams, Veronica Brill, den Verdacht äußerte, dass Postle betrügt. Sie untermauerte ihre Behauptungen mit einem 18 Minuten langen Video von Händen, die ihrer Meinung nach unter normalen Umständen so niemals stattfinden würden.
Nach Brills Post wurde die Pokercommunity auf diesen Fall aufmerksam. Prominente Pokerspieler wie Doug Polk und Joey Ingram wühlten sich durch unzählige Stunden von Live-Streams und sahen sich das Ganze genauer an.
Drei Dinge wurden sehr schnell klar:
1. Postle spielte in so gut wie jedem Spot perfekt.
2. Er verbrachte viel Zeit damit, auf sein Handy zu schauen, das er verdeckt auf seinem Schoß liegen hatte.
3. Das Ausmaß seines Upswings war statistisch nahezu unmöglich.
Die logische Schlussfolgerung war, dass Postle einen Weg gefunden hatte, den Live-Stream des Casinos in Echtzeit zu verfolgen und so die 30-minütige Verzögerung zu umgehen. Er konnte also live die Karten seiner Gegner sehen.
Diese Tatsache erklärte seine astronomische Winrate, die Häufigkeit, mit der er sein Telefon überprüfte und warum es versteckt hielt.
Konkrete Beweise gab es nicht, wie es bei Betrugsvorwürfen beim Poker oft der Fall ist. Aber die Pokercommunity akzeptierte die Theorie weitgehend.
Mehrere Personen klagten 2019 auf Schadenersatz in Höhe von 30 Millionen US-Dollar gegen Postle. Diese wurde jedoch 2020 abgewiesen. Postle reichte kurz darauf eine Verleumdungsklage ein, die aber bereits seine Anwälte nicht verfolgen wollten.
Mehr über die Postle-Saga finden Sie in diesem Artikel.
#2 Foxen und Bicknell
Betrug ist tatsächlich nicht immer Absicht. Dies war 2018 im The Venetian der Fall. Kristen Bicknell und Alex Foxen wurden beschuldigt, sich gegen Kahle Burns im Finale eines $5k MTT abgesprochen zu haben.
Die Anschuldigungen rührten von der Tatsache her, dass die beiden zu diesem Zeitpunkt zusammen waren und von der ungewöhnlichen Art und Weise, wie mehrere Hände während des Spiels abliefen. Spoiler-Alarm: Am Ende belegten sie den ersten und zweiten Platz.
Die meisten Simpsons-Fans würden das Potenzial, Mr. (Kahle) Burns zu besiegen, als "auszeichnet" bezeichnen. Die Frage ist jedoch, ob Bicknell und Foxen dabei ethisch korrekt vorgegangen sind?
In einer der verdächtigsten Pokerhände der Session hat Foxen JJ am Button und Bicknell AA im Big Blind. Mit jeweils etwa 40 Blinds könnte man sich Folgendes fragen:
- Warum kam es nicht schon vor dem Flop zu einem All-in?
- Warum schob Bicknell bei einem Board wie 5c4hJsKs3c nicht all ihre Chips in die Mitte?
- Oder wie hat sie es überhaupt geschafft, am River einen so großen, suboptimalen Laydown zu machen?
Nichtsdestotrotz ist es zwar eine verdächtige Aneinanderreihung von Ereignissen, aber kaum ein entscheidender Beweis. Burns war außerdem sehr short zu diesem Zeitpunkt. Die Stack-Dynamik könnte also zweifelsohne eine Erklärung für die Passivität sein.
Die Vermeidung eines anderen Big Stacks, um einen Short Stack zu überdauern, wird allgemein als wichtiger Teil einer guten Turnierstrategie angesehen - unabhängig davon, ob sich die Spieler kennen oder nicht.
Zusätzlich zum passiven Spiel kommentierte Foxen den River und bot Bicknell an, ihr seine Hand zu zeigen, wenn sie folden würde. Dies ist zwar ein klassisches Anzeichen dafür, dass jemand versucht, einen Fold herbeizuführen, aber auch das ist nicht beweiskräftig genug. Dennoch erscheint es ein wenig verdächtig, wenn man es mit den Kommentaren kombiniert, die Bicknell an anderer Stelle macht.
Wie ist also der Rest der Session zu werten?
Auf YouTube hat Finding Equilibrium eine eingehende Untersuchung darüber durchgeführt, wie Bicknell und Foxen in dieser Konstellation gespielt haben. Dabei kam heraus, dass Foxen und Bicknell gegeneinander viel passiver waren als gegen ihren Gegner.
Die – nennen wir es mal – „Studie“ ergab, dass die beiden nur 18 % ihrer Bluffmöglichkeiten gegeneinander und 62 % gegen Burns nutzten. Diese Zahlen untermauern die Vermutung, dass es zu einem Soft Play gekommen ist.
Diese Schlussfolgerung scheint auf den ersten Blick für beide vernichtend zu sein, es handelt sich jedoch nur um eine kleine Stichprobe, bei der Faktoren wie die Position, die Stack Size und die Kartenverteilung nicht berücksichtigt wurden. Diese Aspekte könnten ebenfalls einen Einfluss auf die Zahlen haben.
Verstehen Sie jetzt langsam, warum es so schwer ist, einen Betrüger zu erwischen?
Wenn wir alle Beweise abwägen, ist es schwer zu leugnen, dass es Hinweise auf ein mögliches Soft Play gibt, ob absichtlich oder nicht. Vielleicht handelt es sich nicht um "Collusion (geheime Absprachen)", denn das würde eine Art bewusste Strategie oder einen Plan zum Betrug voraussetzen. Sie haben Burns ebenfalls einen Deal angeboten, was für eine weniger schändliche Feststellung spricht.
Wenn Sie in dieser Hand ein "Soft Play" sehen, dann handelt es sich wahrscheinlich eher um zwei Menschen, die sich um die Person kümmern, die sie lieben, als um etwas Bösartiges. Wie Donna Goddard schon sagte: "Wenn wir jemanden lieben, machen wir es uns zur Aufgabe, ihn zu schützen".
Sicherlich ist es unethisch, aber es ist unrealistisch zu erwarten, dass die Beziehung der Foxens hier keinen Einfluss auf das Spiel hat, ob bewusst oder nicht. Wenn man am Tisch konsequent ist, muss man jeden als Feind betrachten.
Es scheint unmöglich, seinen Partner als einen solchen zu behandeln, wenn er per Definition das genaue Gegenteil ist.
- Wie kann man die Gefühle des Partners missachten, wenn er durch seine soziale und emotionale Bindung einen direkten Einfluss auf die eigenen hat?
- Sicherlich müsste man sich fragen, wie viel einem an seinem Partner liegt, wenn einem die Aussicht, ihn zu eliminieren, gleichgültig wäre. Das wirkt ein wenig soziopathisch.
Und was ist mit dem Selbsterhaltungstrieb? Seien wir realistisch: Niemand möchte auf der Couch schlafen oder gar seine gesamte Beziehung riskieren.
#3 Abzocke im Hustler Casino
Der nächste Skandal ist ein wenig selbst verschuldet und betrifft einen weiteren Cash-Game-Livestream. Der Vorfall ereignete sich zu Beginn dieses Jahres im Hustler Casino. Es handelt sich um eine Low-Budget-Version des Mike-Postle-Dramas von vorhin.
Ein Spieler namens Skillsrocks schaute sich absichtlich die Karten seines Sitznachbarn an. Diese unrechtmäßig erworbenen Informationen nutzte er dann, um perfekt gegen diesen zu spielen.
Der große Unterschied zwischen diesem und dem Postle-Vorfall ist, dass Skillsrocks technisch gesehen nicht betrogen hat. Auch wenn hier ein offensichtlicher Mangel an moralischem Kompass vorliegt, hätte Barry Wallace seine Karten viel besser schützen müssen.
Wie Victor Ortiz nach dem berüchtigten Schlag von Floyd Mayweather feststellen musste, liegt es in Ihrer Verantwortung, sich jederzeit zu schützen. Das gilt auch am Pokertisch.
- Nichtsdestotrotz setzte Skillsrocks alles daran, einen Blick auf die Karten seines Gegners zu erhaschen.
- Er machte yogaähnliche Nackendehnungen, um den richtigen Blickwinkel zu finden.
- Skillsrocks täuschte absichtlich manchmal einen Blick auf seine eigenen Karten vor, während Barry die seinen überprüfte.
- Er versäumt es oft, seine Chips zu stapeln, um sicherzustellen, dass er keine Chance verpasst.
Wenn sich jemand so viel Mühe gibt, um sich einen unfairen Vorteil zu verschaffen, würden die meisten dies als Betrug ansehen.
Skillsrocks hat sich inzwischen öffentlich für sein Verhalten entschuldigt und die Sperre durch das Hustler Casino akzeptiert.
#4 The Dream Machine 1.0
Wenn Sie ein langjähriger Hörer von Joey Ingrams Poker-Podcast sind, haben Sie ihn vielleicht schon einmal über Ike Haxtons "Dream Machine" scherzen hören. Dieser Witz beruht darauf, dass Haxton deshalb so gut beim Poker ist, weil er ein Supercomputerprogramm oder eine "Dream Machine" benutzt, um für ihn zu spielen.
Obwohl es eine lustige Idee war, ist Haxton ein sehr angesehenes Mitglied der Pokercommunity. Joeys Scherz war eindeutig mehr eine Form von spielerischer Schmeichelei als eine Anschuldigung. Niemand glaubte an die Existenz einer Dream Machine. Schließlich ist das schon viele Jahre her.
Das Einzige, was ihr nahekam, war der Poker-Bot Libratus, der nur auf einem Supercomputer mit 600 Netzwerknoten (Nodes) und 28 Kernen in Pittsburgh existierte.
Seitdem hat sich die Technologie rund um solche Programme enorm weiterentwickelt, wobei die Verwendung von GTO-Solvern heutzutage Standard ist. Die Nutzung dieser Software in Echtzeit wird jedoch als Betrug angesehen. Poker-Anbieter ergreifen unzählige Maßnahmen zur Bekämpfung dieses Problems.
Zu diesen Maßnahmen gehören die Entfernung von Hand-Historien, die Verkürzung von Time Banks und die Überwachung des Spielerverhaltens.
#5 The Dream Machine 2.0
Laut einem 2+2-Thread hat Fedor Kruse im Jahr 2020 versucht, das Spiel mit seiner eigenen "Dream Machine" zu schlagen. Das Konzept war ziemlich einfach:
Kruse nutze eine umfassende und clever angelegte Datenbank mit bereits gelösten Cash-Game-Spots. Auf diese Informationen griff er in Echtzeit über einen zweiten Computer zu.
Auf diese Weise konnte er Schritt für Schritt die perfekte GTO-Strategie spielen, Erkennungsprotokolle vermeiden und viel Geld gewinnen. Er wechselte schnell von MTTs zu den Cash-Games mit den höchsten Einsätzen.
Aufgrund seines rasanten Aufstiegs schöpfte die High-Stakes-Community Verdacht, und eine Gruppe deutscher Profis begann Kruse zu überprüfen. Sie stellten fest, dass sein Spiel nicht nur herausragend, sondern auch verdächtig komplex war.
Er benutzte dynamische Bet Sizings und machte "durchweg wenig intuitive Spielzüge, die alle vom Solver genehmigt wurden". Sie äußerten ihre Bedenken gegenüber den Online-Pokeranbietern.
Auch seine Mitbewohner wurden misstrauisch und konfrontierten Fedor damit. Er hatte begonnen, sein Zimmer abzuschließen, wenn er an den Tischen spielte. Sie behaupteten, er habe zugegeben, dass er RTA (Real-Time-Assistance) benutzte. Sie fügten Kopien von Gesprächen bei, in denen Fedor Kruse mit seiner "Dream Machine" prahlte.
Da er sich nicht einsichtig zeigte, warfen ihn seine Mitbewohner aus der gemeinsamen Wohnung.
Ein großer Pokeranbieter hat Fedor inzwischen gesperrt, und er ist seitdem das schwarze Schaf der Pokercommunity. Das alles scheint ihn aber nicht wirklich zu stören. Anfang des Jahres war er bei der EPT in Monte Carlo mit dabei.
Obwohl viele der Beweise eher auf Hörensagen basieren, scheinen sie doch ziemlich belastend zu sein.
Betrüger aufgepasst!
Die Art und Weise, wie Kruses Mitbewohner gehandelt haben, ist ein perfektes Beispiel dafür, wie wichtige Ehre und Integrität in der Pokerwelt sind. Als ihnen ein gangbarer Weg zum Betrug aufgezeigt wurde, entschieden sie sich, diesen nicht zu gehen, sondern das Ganze zu melden.
Es ist wichtig zu wissen, dass Kruses Mitbewohner erst handelten, nachdem sie ein Geständnis und eindeutige sowie belastende Beweise hatten. Wenn Sie jemals einen Betrüger verdächtigen, gehen Sie genauso vor. Diese Methode maximiert die Chancen, den Betrüger zu erwischen, und minimiert den Schaden für unschuldige Parteien.
Leider gibt es immer wieder Menschen, die versuchen, zu betrügen und sich einen unfairen Vorteil zu verschaffen.
Die gute Nachricht ist, dass ein Großteil der Pokerwelt daran arbeitet, sie zu erwischen.
Wir wünschen Ihnen viel Spaß und Erfolg an den Pokertischen!